Soviel ist sicher: Ohne Kläranlagen kein gutes, sauberes, kommunales Leben. Denn hier werden – in einem komplexen Prozess – riesige Mengen Abwasser gereinigt. Was riesige Mengen an Energie braucht. Kein Wunder, dass Kläranlagen die größten Stromfresser von Kommunen sind. Sie verbrauchen rund 20% des Gesamtstrombedarfes – und damit mehr als Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungen etc. Mit Blick auf den Klimawandel und eine kommende neue EU-Richtlinie für die Behandlung kommunalen Abwassers ist klar: Es muss sich einiges tun, damit Kläranlagen ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten. Und es tut sich einiges – zum Beispiel in Neuwied nahe Koblenz.
Eine Kläranlage wird zum Solarkraftwerk
Die Lage in Neuwied: Hier wollen die Servicebetriebe einen Stromanteil für ihre 1.600 m² großen Klärbecken über eine Photovoltaik-Anlage selbst erzeugen. Das Problem: Das Problem: Große PV-Anlagen benötigen viel Platz. Was tun? Man entscheidet sich für die faszinierende, weltweit einzigartige Lösung des Schweizer Unternehmens dhp technology: ein Solarfaltdach. Carmen Scheuber, die Leiterin des Bereichs „Markt“ bei dhp, erklärt, wie es funktioniert: „Das Ganze ist eine Leichtbaukonstruktion mit seilbasiertem Tragwerkskonzept und patentiertem Faltmechanismus.“ Aha. Etwas genauer, bitte:
Die Leichtbauweise erlaubt – wichtig für Kläranlagen – sehr weite Stützenabstände und eine große Höhe der Photovoltaikmodule über dem Boden. Seilbahntechnologie heißt: Die Solar-Module hängen in sogenannten Faltdachgruppen an Seilen. Und: Dank des Faltmechanismus können die Module jederzeit und innerhalb einer Minute eingefahren werden. Das Solarfaltdach hält also den zwingend nötigen Zugang von oben zu den offenen Klärbecken prinzipiell immer frei. Zum Beispiel für Bau- oder Wartungsarbeiten mit einem Kran.
„Der Clou ist“, erläutert Carmen Scheuber weiter, „das Solarfaltdach sorgt für eine Doppelnutzung.“ A) Es produziert Solarstrom über den offenen Klärbecken, b) ohne dass Wartungs- und Instandhaltungsprozesse beeinträchtigt werden.
Die Kläranlage klärt also nicht mehr nur, sondern erzeugt auch grünen Strom, wird quasi zu einem Solarkraftwerk. Außerdem reduziert der Faltdach-Schatten das Algenwachstum in den Becken, was weniger Reinigungsarbeiten bedeutet.
Eine innovative Kooperation für eine innovative Anlage
Es ist nicht ganz trivial, bis das Solarfaltdach steht. Die Anforderungen für PV-Anlagen in Deutschland sind nämlich andere als in der Schweiz. Es braucht schon eine spezielle Partnerschaft zwischen den Unternehmen dhp und AFRY, um so etwas allen Anforderungen gemäß geplant, gebaut und umgesetzt zu bekommen. dhp fungiert dabei als Innovator, Planer und Anlagenbauer, AFRY als Umsetzungspartner für das Projekt Neuwied. Doreen Brandt, Verfahrenstechnikerin und als Abteilungsleiterin bei AFRY für die Modernisierung von Kläranlagen verantwortlich, nennt die Zusammenarbeit „sehr professionell, angenehm und innovativ.“
Der komplexe Partner-Prozess in Kürze:
Zunächst einmal geht es ums Erfassen der speziellen Kläranlagensituation vor Ort. Carmen Scheuber erklärt: „Wir machen Vorstudien (Welche Fläche genau soll überspannt werden? Was sind die Anforderungen an die Höhe?), Berechnungen (Sind Bestandsanpassungen nötig?) und dann ein erstes Solarfaltdach-Layout (Wie viele Module können wir verbauen? Wo können wir die Fußstützen anbringen?).“
Dann kommen Doreen Brandt und ihr Team mit ihrer Kompetenz in punkto Statik, Zertifizierungen und Energieanbindung ins Spiel. Martin Winkelmann erstellt u.a. die Genehmigungsstatik und die Ausführungsstatik und dokumentiert alle statischen Nachweise des Stahlbaus und der Klärbecken für den unabhängigen Prüfingenieur, der die Statik schließlich baurechtlich prüft.
Als knifflig stellt sich in Neuwied noch die elektrotechnische Integration der Photovoltaik-Anlage ins bestehende System heraus. Denn der Netzanschluss muss nicht nur Norm- und Netzbetreibervorgaben erfüllen, sondern auch eine Anlagenzertifizierung durchlaufen. Das gibt es so in der Schweiz nicht – also unterstützten Doreen Brandt und ihr Team auch hier. Eric Stehle übernimmt die Abstimmung mit dem Netzbetreiber, einem unabhängigen Anlagenzertifizierer und plant u.a. die elektrotechnischen Umbauten auf Kläranlagenseite sowie neue Kabelwege zwischen Solarfaltdach und Netzanschlusspunkt.
Das alles läuft projektbegleitend zur Installation des Solarfaltdaches mit Prozessen wie: Stahl auf die Baustelle liefern, Stützen vor Ort montieren, Faltdachbahnen einsetzen, die elektrischen Betriebsmittel montieren, Kabel verlegen…
Zwischenfazit: Es dauert seine Zeit, bis so ein Solarfaltdach steht und Strom liefert (in Neuwied insgesamt: 12 Monate). Es lohnt sich aber mittel- und langfristig.
Eine Dosis Zukunftsoptimismus
Das Solarfaltdach in Neuwied wird rund 180.000 kWh pro Jahr Solarstrom lokal erzeugen. Die Kläranlage wird den Strom zum größten Teil selbst verbrauchen und damit einen Eigenversorgungsgrad von rund 98 Prozent erreichen. Außerdem werden die CO2 -Emmissionen um gut 75 Tonnen pro Jahr reduziert.
Wenn dann noch – was in Kläranlagen eher die Regel als die Ausnahme ist – andere Energieerzeugungen wie Biogas-Erzeugung hinzukommen, ergibt sich ein Szenario, das optimistisch in die Zukunft blicken lässt, betont Doreen Brandt: „Tags den Strom über Photovoltaik erzeugen und unmittelbar verbrauchen, nachts über ein Blockheizkraftwerk. So lässt sich die selbst erzeugte Energie optimal nutzen.“
Ziemlich sonnige Plus-Energie-Aussichten.
Zwei letzte Fragen gehen an Carmen Scheuber: „Wie lange hält so ein Solarfaltdach eigentlich?“ „Mindestens 25 Jahre.“ „Und wann hat es sich amortisiert?“ „Nach ca. 12 Jahren.“ erklärt die versierte Solarfaltdachexpertin nicht ohne leisen Graubündner Stolz.
Das Solarfaltdach ist deshalb nicht nur für Kommunen interessant, sondern im Grunde für viele bereits existente und versiegelte Flächen, etwa Parkplätze und Logistikflächen.
Doreen Brandt blickt über den Neuwieder Tellerrand: „Es ist ja so, dass die kommende Neufassung der EU-Kommunalabwasser-Richtlinie klare, bindende Vorgaben zur Energieneutralität der Kläranlagen enthalten wird. Wir erwarten, dass die eh schon hohe Nachfrage nach Photovoltaikanlagen deshalb weiter rasant steigen wird. Nach Solarfaltdächern