Sarah Kosmann hat 3 Kinder, einen Mann, ist Teil der Initiative „Frau liebt Bau“ und etwas eigensinnig. Sie schätzt Fachplanungsarbeit (mehr Computer, wenig Baustelle), ist gerne ungestört beim Denken und will nachmittags auch mal Zeit für die Kinder haben, wenn ihr (oder den Kindern) danach ist. Aus diesem Eigensinn hat sie ein Konzept gemacht und nie mehr in Frage gestellt:„Kosmann Ingenieure – Partner für Bauphysik und energieeffizientes Bauen“.“ Ein nicht ganz übliches Ingenieurbüro. Mit einer jungen Chefin und 7 Angestellten, die komplett remote arbeiten. Klingt nach 21. Jahrhundert, oder?
Liebe auf den ersten Blick: Bauphysik
Sarah Kosmann ist Bauphysikerin durch und durch, Fachwissen und Passion sprudeln nur so aus ihr heraus. Im Studium war es Liebe auf den ersten Blick. „Das ist einfach meins“, sagt sie und meint: dieses fundamental Wichtige an einem Gebäude: Wärme, Feuchte, Schall, Schutz. Sie liebt besonders, dass Bauphysik so wissenschaftlich ist, so messbar und beweisbar. Man kann es berechnen, man kann es spüren, es hat diesen enormen menschlichen Nutzen. „Menschen sollen sich gut aufgehoben fühlen. Dafür sind Gebäude schließlich da.“
Außerdem ist die Bauphsyik natürlich ein großer Hebel im Gebäudebau, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Was allerdings oft noch fatal unterschätzt wird, meint Sarah Kosmann. Sie plädiert dafür, die Bauphysik sehr ernst zu nehmen, nicht nebenbei oder zu spät zu berücksichtigen und sie echten Expert:innen zu überlassen.
Regenerativ hoch zwei: das Plus-Energiehaus
Auch wenn sie das selber so eher nicht sagen würde: Sarah Kosmann lebt und arbeitet in einem modernen Vorzeigehaus. Es ist mehr als ein Effizienzhaus und auch mehr als ein Null-Energiehaus (das hieße lediglich: Die Energie, die verbraucht wird, wird am Gebäude erzeugt.), denn: Die Kosmanns erzeugen rechnerisch mehr Energie als sie verbrauchen, sind im Betrieb also „im Plus“. Deshalb: Plus-Energiehaus. Es ist regenerativ hoch zwei: Es nutzt regenerative Energie (Sonne) UND erzeugt dann auch noch mehr als es verbraucht.
Sarah Kosmann hat es – zusammen mit ihrem Mann – selbst gebaut, es steht in Rheurdt am Niederrhein.
„Wir haben sicher eine besondere Situation hier, weil es unser eigenes Haus ist und auch relativ ländlich steht.“, sagt Sarah Kosmann. Entscheidend aber ist: Sie hat von Anfang an all ihr ingenieurtechnisches und bauphysikalisches Wissen ins Haus hineinkonzipiert, -gedacht und -eingebracht. „Wir wollten wirklich von Anfang an so viel wie möglich optimieren.“ Das ganze Innen und Außen, die Dachnutzung, die Flächen für PV-Module, den Umgang mit Wärmepumpe und Warmwasserspeicher, die Lage der Fenster, die Qualität der Wände – überhaupt die Nachhaltigkeit der Materialien, die U-Werte, die Wärmebrückendetails…
Zu den großen und kleinen Herausforderungen, die gemeistert werden mussten, gehörte zum Beispiel die Frage der Fensteröffnung: Wo genau kommt wann die Sonne rein? Wie kann man die solare Einstrahlung ideal nutzen? Aber auch: Wieviel Dämmung braucht man außen, um den Wärmeverlust innen minimal zu halten? Wie kann man innen Leitungslängen optimieren, um die Heizung effizient laufen zu lassen? Was sind gute Verschattungsmöglichkeiten, die eine Überhitzung im Sommer reduzieren? Und wie lässt sich die Raumluftfeuchte optimieren?
Die Kosmanns haben sich deshalb z. B. für Lehmputz an den Wänden entschieden, der die Feuchte ideal reguliert. Das heißt: Im Winter wird es nicht so trocken, im Sommer nicht so feucht.
Es sind
so viele Dinge zu beachten, zu fokussieren, zu entscheiden, wenn man es ernst
meint mit der Energieeffizienz. Deshalb – und da wird Sarah Kosmann wieder ein
bisschen vehement – ist es so wichtig, die Bauphysik früh und eng in Planung
und Bau einzubinden. Weil man später nicht mehr sagen kann: „Mach das Fenster
doch besser mal in die andere Wand.“
Form follows function 2024
Umsetzungswillen und Entscheidungsfreude hat Sarah Kosmann genug. Sie hat ein paar unbequeme Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel hat das Dachgeschoss nur zwei relativ kleine Dachflächenfenster, die dazu dienen, Grundlicht ins Treppenhaus und ins Bad zu bekommen. Der Rest des Dachs ist komplett belegt mit einer Photovoltaik-Anlage. „Wir wollten zeigen, was alles geht in punkto Nachhaltigkeit und Energieeffizienz.“ Und das bedeutet im Zweifel, sich pro Planet zu entscheiden – und gegen ein großes Dach-Panoramafenster.
Sind Entscheidungen für die Energieeffizienz also immer Entscheidungen gegen die baulich-ästhetische Qualität? Das sieht Sarah Kosmann gar nicht so und erinnert an den gestalterischen Leitsatz „Form follows function“. Der stammt vom amerikanischen Bildhauer Horatio Greenough (1852) und wurde etwas später, um 1900, auch in der Architektur aufgegriffen, von einem der ersten großen amerikanischen Hochhausarchitekten, Louis Sullivan.
Was in Rheurdt umgesetzt wird, ist eine modernisierte Variante dieser Idee: gegen Ornament und Dekor, für intelligente Funktion.
Im Kleinen an etwas Großem arbeiten
Der Plan vom Plus-Energie-Haus geht rundum auf. Scheint die Sonne den ganzen Tag, sind die Kosmanns an dem Tag quasi energiepositiv. Denn u.a. ist der Batteriespeicher so konzipiert, dass er die Heizungsgrundlast über die Nacht tragen kann. Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ist der Speicher leer. Dann kommt die PV-Anlage wieder ins Spiel und nimmt den Ball neu auf.
Sarah Kosmann hat noch viele Ideen, die weit über ihr eigenes Haus hinaus gehen. Z.B. Konzepte für die Quartiersverbesserung: Wir wäre es mit mehreren Plusenergie-Häusern in einem Quartier, die andere Häuser mit versorgen – und dann u. a. auch die höheren Verbräuche von Denkmalschutzhäusern ausgleichen können? Oder wie wäre es damit, die Batterien von geparkten Elektroautos mit ihren großen Speicherkapazitäten doppelt zu nutzen, sie sozusagen zum Zweitspeicher für Hausenergie zu machen.? Und warum nicht endlich Smart Grids forcieren, in denen sich verschiedene Erzeuger und Verbraucher im Energienetz „unterhalten“ und ihre Bedürfnisse aufeinander abstimmen?
Im kleinen Rheurdt denkt und handelt Sarah Kosmann ziemlich großgesellschaftlich und mit klarem Planetenbewusstein: „Wir alle haben hier einen Auftrag. Wir müssen klimaneutral werden und diese Bauwende schaffen.“